Fachreise von NRW.Energy4Climate zur Wärmewende

16.04.2024

Dänemark ist anders als Deutschland – trotzdem kann NRW beim Ausbau der Fernwärme viel aus den Erfahrungen des „Klima-Weltmeisters“ lernen. Ein Reisebericht

Fast wäre der Bus der NRW-Delegation an seinem Ziel vorbeigefahren: So unauffällig liegt der etwa drei Meter hohe, rechteckige Hügel zwischen Feldern und Baumreihen im Umland von Kopenhagen. Es handelt sich um einen Erdbeckenwärmespeicher, gefüllt mit 70.000 Kubikmetern Wasser.  
Solche Speicher sind nur einer von vielen Bausteinen im erfolgreichen dänischen Fernwärmesystem und können für NRW Inspiration bei der Wärmewende sein. Von Beispielen wie diesen wollten sich im März rund 30 Vertreter:innen von Energieversorgern und Kommunen aus NRW selbst überzeugen. NRW.Energy4Climate organisiert Fachreisen wie diese, um den länderübergreifenden Austausch von Best Practices und Know-how zu Energie- und Klimaschutzthemen zu fördern. 

 

Speicher: Fernwärmenetze flexibel und wirtschaftlich machen 
Der dänische Speicher ist mit 180 Metern etwas länger als ein Fußballfeld. Wenn man über eine Betontreppe auf die große Fläche steigt, die mit kleinen Steinchen über einer Abdichtung bedeckt ist, fängt der Boden an zu schwanken. „Wir können über Wasser gehen“, sagen die Dänen dazu. Etwa 15 Meter reicht das Becken in die Tiefe, rund 33 Jahre soll der Speicher halten. Solche Wärmespeicher gibt es in NRW noch nicht – in Schleswig-Holstein befindet sich gerade der erste im Bau. Wärmespeicher sind ein essenzieller Baustein des zukünftigen Energiesystems. So vielfältig wie ihre Anwendungsmöglichkeiten sind auch die Arten von Wärmespeichern. Ein Speicher sollte nah am Fernwärmenetz liegen, doch so große freie Flächen in Stadtnähe sind im dicht besiedelten NRW kaum vorhanden oder teuer. Die Stadtwerke Duisburg verfügen über den größten Wärmespeicher in NRW – es ist allerdings ein anderer Bautyp. Aber auch er nutzt das Prinzip und die Vorteile von Speichern: Sie ermöglichen mehr Flexibilität im Netz und damit günstigere Preise für die Kunden.  

 

 

Kopenhagens Fernwärmenetz: Klimaneutralität bis 2050 als Ziel 
Doch es gibt auf der Reise noch mehr zu lernen von dem laut Klimaschutz-Index 2023 klimafreundlichsten Staat der Welt. Man könnte die Dänen nicht nur als Klima-, sondern vielleicht auch als Fernwärme-Weltmeister bezeichnen, denn sie haben ihr schon lange bestehendes Fernwärmesystem seit den 70ern gezielt ausgebaut und stetig effizienter gemacht. Zwei Drittel der knapp drei Millionen Haushalte werden mit Fernwärme versorgt. Aber auch in Dänemark ist noch nicht alles perfekt: Bisher mehr basierend auf Kohle, Biomasse, Gas und Abwärme aus Müllverbrennungsanlagen, stehen auch die Dänen vor der großen Aufgabe, ihr Fernwärmenetz langfristig komplett ohne fossile Brennstoffe zu betreiben. Bisher liegt der Anteil der Erneuerbaren Energien bei der Fernwärme bei 75 Prozent. Im Großraum Kopenhagen haben vier Fernwärmeunternehmen nun eine gemeinsame Vision entwickelt von der zukünftigen, CO2-neutralen Fernwärmeversorgung in der Metropolregion bis 2050.  

 

 

Neue Netzgeneration: dezentral und gemeinsam mit den Bürger:innen  
Diese 5. Generation des Fernwärmenetzes wird ein komplexes, ausgeklügeltes und effizientes System sein. Das große Ziel der Vision 2050: Die Elektrifizierung des Wärmenetzes. Dafür setzt unser europäischer Nachbar vor allem auf Großwärmepumpen, um auch Wärmequellen mit einem niedrigeren Temperaturniveau nutzen zu können. Geothermie, mehr Abwärme aus der Industrie und jeder bereits vorhandenen Quelle, Power to x, Umweltwärme und quasi alle Ressourcen, die es gibt, sollen für diese zentrale Art der Wärmeversorgung genutzt werden.  
Auf der Reise wird schnell klar: Neben der Erzeugung von Erneuerbarer Energie ist ein genauso wichtiger Aspekt auch die Art der Verteilung von Energie, sowie eine gute, transparente Kommunikation der für die Bürger:innen sichtbaren Auswirkungen der Transformation. 

 

 

Übertragbarkeit auf NRW diskutiert 
Pragmatisch und kreativ sind die Dänen beim Auffinden von Wärmequellen – sie nutzen sogar bei der Trinkwassergewinnung jedes Grad: Im Stadtteil Frederiksberg konnte die Gruppe eine der zwei ersten großen Trinkwasserwärmepumpen in Dänemark besichtigen, die durch Wärmeerzeugung und Flexibilität eine gesamte Fernwärmeanlage optimiert.
Fragen, die mit den Reise-Teilnehmenden vor Ort diskutiert wurden: Können wir in NRW unsere Fernwärmenetze auf ähnlich niedrigen Temperaturen betreiben wie die Dänen? Können auch wir mit Wärmespeichern Zeiten günstigen Stroms zur Wärmeerzeugung nutzen? Wer in NRW denkt schon eine Sektorenkopplung – aus Wärme, Strom, Verkehr, Landwirtschaft, Industrie – mit? Können wir Energiegenossenschaften gründen, um neue Wärmenetze zu planen? Parallelen wurden bei der Wahl und dem Mix der möglichen künftigen Wärmequellen gefunden: Geothermie, Abwasser, Luft und andere Umweltwärme, industrielle Abwärme – all diese Wärmequellen sind auch in NRW in der Diskussion. Dieser gemeinsame Austausch über die Übertragbarkeit dänischer Lösungen auf NRW ist wichtiger Teil der Fachreisen. 
Doch in beiden Ländern gibt es auch Unterschiede – und andere Voraussetzungen: In  Dänemark gibt es beispielsweise insgesamt 98 Kommunen, davon haben 96 bereits einen Wärmeplan – allein in NRW sind es an die 400 Kommunen, die jetzt alle gleichzeitig eine Wärmeplanung erstellen müssen.  

 


Projektgesellschaften: Energiewende als Gemeinschaftsaufgabe 
Der Wunsch der Politik in Dänemark ist, dass bis 2035 kein Gas mehr für Raumwärme genutzt wird. Was vor allem kleineren Kommunen in Dänemark bei der Transformation hilft: Zusammenschlüsse von Akteuren und interkommunale Zusammenarbeit, zum Beispiel über Projektgesellschaften wie Gate 21, in denen Kommunen, Unternehmen, wissenschaftliche Institutionen und Bürger:innen die künftige Energieversorgung partnerschaftlich gemeinsam planen. Solche Projektgesellschaften, die Innovationen und Wertschöpfung in den Kommunen unter der Aufsicht einer kommunalen Steuerung vorantreiben, wären auch für NRW eine Chance, die Wärmeplanung stärker voranzutreiben und Kommunen zu entlasten. 
Es geht dabei auch um die Frage: Wie kann man die Motivation hochhalten, dass alle mitziehen und bei dem Prozess dabeibleiben? Das Thema wird in NRWs Kommunen erkannt: Erste Pilotkommunen des Kompetenzzentrums Wärmewende von NRW.Energy4Climate wie Kamp-Lintfort erarbeiten gerade eine stadteigene Partizipationsstrategie, Verstetigungsstrategie und Kommunikationsstrategie – Infoveranstaltungen für Bürger:innen sind beispielsweise ein wichtiger Bestandteil.  

 

 

Fernwärme effizient nutzen: mit Niedrigtemperatur und Digitalisierung 
Zum Abschluss besuchte die Delegation die Kommune Albertslund, einen Vorreiter in Sachen Niedertemperatur-Fernwärme, Gasumwandlung und Bürgerbeteiligung. Die Gruppe besichtigte ein Wohnviertel, in dem die Temperatur im Fernwärmewasser für die Häuser von rund 90 Grad auf 60 Grad gesenkt wird. Die Rohre des Netzes kommen dabei in einem blauen Container, der am Ender einer Straße steht, an die Oberfläche. Man muss ihn nicht schön finden, aber er zeigt mal wieder dänischen Pragmatismus. Im Container wird die Temperaturregulierung gesteuert. Die dänischen Energieversorger konstatieren: Früher hat man ein ganzes Netz mit 120 Grad betrieben, weil ein Verbraucher, wie ein Unternehmen, die hohe Temperatur brauchte. Heute findet man eine separate Lösung für diesen einen Verbraucher, und das ganze Netz kann auf den sonst nur benötigten 60 Grad laufen. Dazu nutzen die Dänen auch Möglichkeiten der Digitalisierung wie Smart Meter, also intelligente Messsysteme in den Haushalten der Verbraucher:innen.  
 

 

Gemeinschaftlich, pragmatisch, transparent 
Wie schon bei früheren Reisen waren sich alle Teilnehmenden am Ende auch bei dieser einig: Vom gemeinschaftlichen, pragmatischen und transparenten Vorgehen der Dänen kann sich NRW einiges abgucken, und das schaut man sich am besten selbst vor Ort an. „Idealerweise mit den politischen Entscheidern gemeinsam“, so Magdalena Sprengel, Leiterin des Programms bei NRW.Energy4Climate.  

Die nächste Fachreise nach Dänemark (Kopenhagen) bietet NRW.Energy4Climate vom 21.–25. Oktober 2024 an. Die Ausschreibung erfolgt über den Eventkalender. Interessent:innen können sich vormerken lassen und schreiben an: Magdalena.Sprengel@energy4climate.nrw.

 

Die Fachreise vom 11.–13. März 2024 wurde organisiert vom Fernwärmeverband Danish Board of District Heating (DBDH) in Zusammenarbeit mit dem dänischen Außenministerium.

Interessenten können Informationen zu Digitalisierung, zur technischer Umsetzung und zum Ausbau von Fernwärmenetzen erhalten über Lars Hummelmose von DBHD unter: lh@dbdh.dk.

 


Mehr Informationen: 
NRW.Energy4Climate: Video zur Fachreise von Oktober 2023 „Von Dänemark lernen – wie die Wärmewende in NRW gelingen kann“

Weiterer aktueller Artikel zum Thema: 100 Prozent klimaneutrale Fernwärme bis 2023 – Interview mit Christian Bjerrum Jørgensen, Botschaftsrat für Energie bei der Königlich Dänischen Botschaft in Berlin, März 2024 

NDR-Beitrag zum ersten Erdbeckenspeicher Deutschlands: Heizen mit Abwärme: Meldorfs Erdbeckenspeicher ist fast fertig | NDR.de - Nachrichten - Schleswig-Holstein 

Erdbeckenwärmespeicher bei Kopenhagen: Wenn man über 70.000 Kubikmetern Wasser läuft, schwankt der Boden unter den Füßen

Die deutsch-dänische Reisegruppe vor dem Erdbeckenwärmespeicher

Neue Trinkwasserwärmepumpe des Unternehmens Frederiksberg Forsyning im Stadtteil Frederiksberg

Container für die Niedrigtemperatur-Fernwärme in einem Wohngebiet der Kommune Albertslund